Außenanstrich

 

Angeblich ist man der Einfachheit halber immer so alt, wie man sich fühlt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber an manchen Tagen hilft mir diese Betrachtungsweise nicht weiter.

 

Es gibt Zeiten, da fühle ich mich wie Anfang Zwanzig. Alles scheint möglich und ich bin unsterblich. Garderobenspiegel oder Personalausweis beenden diese köstliche Illusion zuverlässig und ich staune nicht schlecht, wie weit Selbsteinschätzung und Faktenlage bisweilen auseinanderliegen. Und dann gibt es die Tage, an denen sich mein Blick in die Zukunft "endlich" anfühlt. All die Möglichkeiten, die die Jugend für mich bereithielt, haben sich ansehnlich dezimiert und übrig geblieben ist ein recht berechenbarer Rest eines einst grenzenlosen Lebensweges.

 

Zwischen diesen beiden gleichermaßen unvollständigen Selbstwahrnehmungskonzepten schwanke ich seit einiger Zeit hin und her und suche nach einer altersangemessenen Befindlichkeit. Aber so recht will es sich nicht auffinden lassen, das einzig adäquate "Lebensgefühl für die Lebensmitte". Da tut sich meine Freundin Nic schon deutlich leichter. Sie ist in etwa so alt wie ich, hat ein mitreißendes Temperament und trägt fast ausschließlich kurze Röcke, die ihr auch noch fabelhaft stehen. Das Farbkonzept ihrer Garderobe ist fröhlich wie sie selbst und es scheint, als könne ihr das Älterwerden rein gar nichts anhaben - und das seit Jahren. 

 

Das macht mich schon eine ganze Weile nachdenklich. Sollte die Antwort so simpel sein, zumindest für uns Frauen? Ist ein Minirock eine Art "Midlife-Crisis-Abwehr-System" und knallharte Konkurrenz für alle gängigen therapeutischen Ansätze (immer vorausgesetzt, die individuelle Bein-Anatomie würde nicht eine eindeutig abschlägige Empfehlung provozieren). Ich glaube, da ist was dran. Eine recht neue Herangehensweise bei Depressionen ist beispielsweise die Botox-Injektion in die Stirn. Was zunächst rein kosmetisch intendiert scheint und im therapeutischen Kontext eher befremdlich anmutet, macht bei näherem Hinsehen durchaus Sinn. So lautet die Theorie, dass eine Stirn, die sich nicht runzeln kann, dem Gehirn eine gewisse Sorglosigkeit signalisiert - und die Freude über ein entspannteres und damit jünger wirkendes Spiegelbild ist nicht zu unterschätzen.

 

Kritiker werden teilweise berechtigt argumentieren, dass sich Maßnahmen "an der Fassade" nicht wirklich nachhaltig auf das Lebensgefühl auswirken - und faktisch natürlich auch keinen Alterungsprozess aufhalten. Das hätte ich vor wenigen Jahren ohne Zögern unterschrieben. Aber heute finde ich es bisweilen beinahe pragmatisch, zumindest hin und wieder nach einer rettenden Oberflächlichkeit zu greifen, wenn in Sachen Stimmungsaufhellung ansonsten grad nix geht.

 

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich immer wieder gern an eine lang zurückliegende, aber umso charmantere Begebenheit: die Großtante einer meiner Freundinnen - per se ein Unikat - war damals weit über Achtzig. Zum Leidwesen ihrer Verwandten sah sie sich diverse Male vorschnell mit ihrem eigenen Ableben konfrontiert, was regelmäßig den Pfarrer zur "letzten Ölung" auf den Plan rief. Irgendwann an einem sonnigen Samstagmorgen war es dann augenscheinlich soweit. Meine Freundin rief mich an und berichtete betreten, dass der Abschied nun wohl endgültig gekommen sei. Man habe den Pfarrer geholt, der der Tante und den traurigen Verwandten seinen Trost zusprach.

 

Als ich am Nachmittag noch einmal zurückrief, um mich bange nach dem Stand der Dinge zu erkundigen, erfuhr ich, dass die reizende alte Dame unmittelbar nach der Krankensalbung ihre Großnichte energisch am Arm gepackt habe mit den Worten: "Fahr' mich zum Friseur - keine Widerrede,  ich brauch 'ne Dauerwelle!"

 

Soweit ich weiß, war das nicht ihre letzte. 

 

 

 

 

 

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